Erst vor wenigen Wochen erreichte die Schauspielgemeinde die frohe Botschaft, die Anfängergage sei von 750,-€ auf 800,-€ angehoben worden. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es sich um eine „Anfängergage“ handle, also Kollegen beträfe, die keine oder sehr wenig Berufserfahrung hätten und nicht etwa eine Mindestgage…
Wenige Wochen später flatterte mir folgendes Angebot auf den Tisch:
700,-€ für ein bis zwei Drehtage. Man brauche 8 Schauspieler an Tag eins und würde mit 4 von den 8 gerne noch einen zweiten Tag drehen… welche der 8 Schauspieler es sein sollten, wollte die Produktion aber erst am Tag vor dem ersten Dreh entscheiden.
Für die Optionierung des zweiten Tages war keine Gage vorgesehen.Die Buyouts sollten für TV/Internet Deutschland/Österreich/Schweiz 500% betragen für Print Deutschland/Österreich/Schweiz 200%. Und wenn man jetzt denkt, es handele sich dabei um das Angebot eines jungen Start-Ups, hat man sich tief geschnitten, es sollte nämlich Werbung werden für (ausgerechnet!) das Jobportal bei XING.
Unter normalen Umständen hätte ich mit einem Hinweis auf meine fast 24 Jahre Berufserfahrung abgelehnt. Aber: mir war ein sicherer Job gerade flöten gegangen, ich sah mich schon genötigt unter eine der zahlreichen Hamburger Brücken zu ziehen (ja, obwohl ich es ablehne, mich wie eine Schauspielerin zu verhalten, ist mir ein gewisser Hang zum Drama nicht fremd)… kurz, ich sagte zu, das Casting wahrzunehmen.
Für das Casting sollte man über seine Träume berichten, gerne über die Themen „Urlaub oder Liebe“… Ich merkte, daß mir allein der Gedanke, Geld zu verdienen, mit dem ich die entstandene finanzielle Lücke auffüllen könnte irgendwie nicht reichte. Das Angebot machte mich unzufrieden bzW ich fühlte mich in jeder Hinsicht mißachtet.
Allerdings weiß ich, daß es unmöglich ist,, sich „gut“ zu präsentieren, wenn man unzufrieden ist. Also überlegte ich, was meine Träume abseits dieser „Sprich mal über Deinen Traumurlaub“-Klischees wären?
Die Antwort lag auf der Hand!
Ich ging zum Casting.
Dort bekam ich eine Pappe mit einem Stichwort in die Hand gedrückt. Aufgabe: nimm das Schild, nimm eine lockere Haltung damit ein, halte es gut sichtbar in die Kamera, lass es dann fallen, und erzähle uns, warum dieses Stichwort wichtig für Dich ist.
Mein Stichwort lautete „Wirksamkeit“
Ich tat, wie mir geheißen und sagte dann freundlich, fröhlich und arglos:
„Wirksamkeit ist total wichtig, denn nur wenn man sich gut und sicher fühlt, kann man auch wirken. Für mich ist zum Beispiel wichtig, daß die Gagen in meinem Job stimmen und ich nicht unter Anfängerniveau bezahlt werde. Ich träume übrigens auch von Buyouts, die sich nach der BVC-Liste richten“ mein Gegenüber fragte sofort, was ich denn so mitbrächte?
„Naja, immerhin bin ich 48 Jahre alt und habe gut 23 Jahre Berufserfahrung. Und die sind es doch wert, bezahlt zu werden. Denn mit einer guten und angemessenen Bezahlung bin ich in der Lage, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, muß keine Nebenjobs machen und kann kreativ sein. Weil sie mir das Gefühl gibt, gewertschätzt zu werden.“
Der Caster fragte dann noch, wie es denn mit Nebenjobs stünde und ich antwortete:
„Naja, die Kulturlandschaft hat sich in den letzten Jahren ja so dramatisch verändert, daß wir alle mehrere Jobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Um so wichtiger ist es, daß dann auch richtig und gut bezahlt wird.“
Damit war mein Casting beendet.
Vor der Tür traf ich einen Kollegen, der bei meinem Casting zugesehen hatte und der meinte, mein Casting sei doch total nett gewesen! Ich schaute ihn erstaunt an und fragte: „Du weißt schon, daß das ein Scheißjob ist, den sie da anbieten…. und daß ich ihnen das gerade gesagt habe?“
Er verneinte.
Ich erklärte ihm kurz, daß die Tagesgage 100,-€ unter dem Anfängerniveau läge und daß die Buyouts 200% unter dem lägen, was man laut BVC-Liste zahlen muß…(nur für TV f. Deutschland, Österreich und Schweiz sind 500% fällig für Internet kommen zwischen 250-500% dazu, Print für alle 3 Länder wären 400% ) ganz zu schweigen davon, daß man sich nicht einfach eine Option bis einen Tag vor Drehbeginn einräumen könne, ohne die auch zu bezahlen.
Jeder Arzt/Heilpraktiker/Physiotherapeut weist einen darauf hin, daß Termine, die man einen Tag vorher absagt zu 100% in Rechnung gestellt werden… und für uns soll das nicht gelten?
Ich hätte es Xing hoch angerechnet, wenn sie mit mir verhandelt und mich zu meinen Konditionen genommen hätten. Haben sie aber nicht. Verstehe ich auch. Auf eine Premiummitgliedschaft von mir können sie allerdings lange warten.